Lateinische Sprachrelikte im bayerischen Dialekt

Zukunft ....

Ur-Bayerisch ist keine Variante der deutschen Sprache, sondern Latein.

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  • Zukunft und Herkunft der Bayerischen und Österreichischen Baiern und ihrer Sprache
  • Otto Kronsteiner *
    Geboren in Noricum ripense, zwischen Windischgarsten und Windischendorf, Slawist in Ivavum/Salzburg, seit Kindheit bairischsprachig und weiterhin Dialektsprecher

    Gegenwart und Zukunft
    Die Zukunft des Bairischen wird von Sprachfreunden und Dialektologen als gefährdet oder "hoffnungslos" bedauert. Die Existenz vieler Fördervereine mit Ehrenmitgliedschaften und Auszeichnungen sind Ausdruck letzter Ehrerweisung. Wer beobachtet, wie sehr die BinnenMigration der Deutschen in den wirtschaftlich prosperierenden Süden andauert, ohne dass die nördlichen Neuankömmlinge ihr Sprachverhalten im Gegensatz zu ihrer sonstigen trachtlerischen und kommerziellen Anpassungsbereitschaft adaptieren, wird sich kaum über die sprachliche Aufnordung in den Medien und in der Alltagskonversation wundern. Wer Kindergarten- und Schulkinder hat, weiss, wie sehr es Mode ist, sich diesem Trend anzupassen. Das grassierende "lecker!", "Junge!", "guck mal!", "komm hoch!" signalisiert es. In der Öffentlichkeit droht Südhochdeutsch und Bairisch zu Gunsten eines einheitlichen NordSlangs zu verschwinden. Wo in der norddeutschen Sprachinsel München hört man noch Bairisch?

    Soll man diese Entwicklung zum EinheitsDeutsch fördern oder versuchen an Unterschieden zu retten, was zu retten ist? Die Entwicklung zu Einheitssprachen ist an sich normal und in allen anderen europäischen Schriftsprachen längst abgeschlossen: In Frankreich, in Italien, in Polen. Man spricht Französisch, Italienisch, Polnisch. Basta! Deutsch ist anders! Der deutsche Sprachraum ist der einzige, der trotz aller in der Germanistik üblichen geografischen Dialektspalterei kulturell und noch immer klar erkennbar sprachlich in Süd und Nord getrennt ist. Soll Bairisch eine Schriftsprache werden? Nein.Wie soll man aber die vielen Texte unserer schönen "Volkslieder" (= Dialektlieder) schreiben? Von allen deutschen Dialekten sind Bairisch (15 Millionen) und Alemannisch (10 Millionen?) die am meisten gesprochenen. Man vergleiche: der derzeitige Migrationshintergrund in Deutschland insgesamt (nicht deutschsprachige Herkunft) beträgt 18 Millionen!

    Die Zweiteilung des StandardDeutschen (Hochdeutsch) wird von der Germanistik nicht wahrgenommen und vom selbsternannten Meinungsleader DUDEN aus ursprünglich (1880 "schreibe wie du sprichst!") praktischen, jetzt mehr und mehr kommerziellen (und ideologischen?) Gründen torpediert. Die Glottonyme (Sprachnamen) Südhochdeutsch und Nordhochdeutsch werden vermieden. Die Zweisprachigkeit (Hochsprache und Dialekt) im Süden wird einfach negiert. Der Dialekt wurde und wird als rückständige Sprachform empfunden, die den sozialen Aufstieg behindert. Und das ausgerechnet im wirtschaftlich prosperierenden Süden! Die einzig mögliche Zukunft des Bairischen und seine Errettung vor der endgültigen Vernordung ist die geordnete, staatlich geförderte Zweisprachigkeit: Südhochdeutsch und bairischer Dialekt. Die Erhaltung des Bairischen steht und fällt mit der kodifizierten Anerkennung des Südhochdeutschen. Nur dieses steht in einem kreativen Wechselspiel mit dem Dialekt. Ohne diese sprachliche und politische Position ist Bairisch (und Südhochdeutsch) verloren. Der derzeitige Zustand der UniversitätsGermanistik ist längst anachronistisch. Viele Professoren an bayerischen und österreichischen Universitäten haben einen nördlichen Migrationshintergrund. Sie sind nicht bereit Südhochdeutsch als eigene Sprachform anzuerkennen. Sie können gar nicht Bairisch! Sie wissen aber, wie man das inexistente "Althochdeutsch" und "Mittelhochdeutsch" ausspricht und schreibt. Jede Form innerdeutscher Mehrsprachigkeit ist ihnen fremd. Es gibt auch im Bildungswesen kein Programm dafür!

    Die DeutschSchweizer haben die demokratischste Lösung gefunden. Im Fernsehen werden die Weltnachrichten auf südhochdeutsch mit bekannter Schweizer Intonation gesprochen, der Wetterbericht für die Schweiz in alemannischem Dialekt (Schwyzerdütsch). Die Berichte über das Engadin auf romontsch: ein wunderbarer Luxus!

    In Österreich ist das Nordhochdeutsche, als "Reichsdeutsch" oder "Piefkinesisch" empfunden, unbeliebt und wird ironisiert. Man versucht Südhochdeutsch möglichst "österreichisch" zu sprechen und hält das für österreichisches Deutsch. Untereinander spricht man Dialekt: gewöhnlich auch im Film und Fernsehen. Für den Sprachunterricht gibt es kein "nationales" Konzept. Man benützt zur Sicherheit den DUDEN oder das (leider zu wienerische) Österreichische Wörterbuch. Bayerisches Bairisch existiert nicht!

    In Deutschland wird im TV nur Nordhochdeutsch gesprochen. Im BR bemühen sich einige (unbewusst?) um Südhochdeutsch. Dialekt gibt es nur im volkstümlichen Theater oder in Krimis. In der Schule gilt das DudenDeutsch als verbindlicher Standard. Der Vormarsch des nördlichen Hochdeutschs als Sprechsprache (damit man auch in Hannover und Berlin verstanden wird?) ist aufgrund der BinnenMigration erdrückend.

    Von allen drei Möglichkeiten ist die deutschländische am hoffnungslosesten. Mit Recht hat der Wiener Heimito von Doderer den DUDEN als "das dümmste deutsche Buch", das er je gelesen hat, genannt. Es verpflichtet die Österreicher und Bayern/Baiern zu etwas, was keiner will. Der unbedachte Weg in die Sprachdiktatur? Ist die Schweizer Lösung aber auf den anderen grossen (südhochdeutschen) Sprachraum mit den Dialekten Bairisch, Alemannisch und Fränkisch übertragbar?

    Herkunft

    Üblicherweise wird die Herkunft der Baiern seit dem 19. Jahrhundert (Kaspar Zeuß, Rudolf Much = Baiowarioz "Männer aus Böhmen/Boiohaemum") spekulativ auf graue Vorzeit mit Völkerwanderung eines germanischen Stammes in "siedlungsleeres" ehemals romanisches Gebiet zurückgeführt. Dabei wäre ein generelles Nachdenken über Ethnogenese (Stammbildung), Ethnonymie (Volksbenennung) und Glottonymie (Sprachbenennung) wünschenswert. Es ist darüber hinaus wenig zielführend, wenn eine Filologie allein, will man sprachwissenschaftlich argumentieren, sich das Recht auf die korrekte Antwort arrogiert. In unserem Fall die Germanistik. Wer in Mitteleuropa linguistisch argumentieren will, muss auch keltisch, romanistisch und slawistisch gebildet sein. Die Archäologen sind der Wahrheit schon näher: keiner glaubt noch an eine Einwanderungaus Böhmen. Die Historiker übernehmen bona fide die Ansichten ihrer sprachgermanistischen Kollegen. So kommt es, dass nicht einmal ein fonetisch und morfologisch einheitlicher Stammes- und Sprachname verwendet wird. Statt von der heutigen Bezeichnung Baiern und bairisch (im Dialekt: Boarn, boarisch) auszugehen, wird von Germanisten ein Kunterbunt orthografischer Schreibweisen in lateinischen Texten und deren Falschlesungen verwendet: die bekannteste ist "Bajuwaren" (als "germanischer Altstamm"). Dass die "Fachleute" in der BaiernFrage den grafischen Unterschied von Bayern und Baiern intellektuell nicht bewältigen, zeugt vom hohen linguistischen Niveau der Streitkultur. Das y in Bayern, der unsinnigste Buchstabe in europäischen Alfabeten, wurde 1825 von König Ludwig (aus Hellenofilie?) angeordnet. Er hat bestenfalls eine grafische, aber keinerlei etymologische oder fonetische Funktion.

    Aus heutigem Wissensstand ist nur Baiwaren/Baiern (in romanischen Sprachen Bavaria/bavarese, Baviere/bavarois) etymologisch korrekt. Zwei Lesarten wären als theoretische Ausgangspunkte für eine Etymologie möglich: Bal/varen )der Bagi/Varen, wobei Ba/Ivaren von Bagivarii/Baivarii/Baiern (= pagus und Ivarus "die Leute vom Salzach-Gau") die wahrscheinlichere und bessere Etymologie ist: p/b ist kein Problem, obwohl das Fehlen der fonologischen Opposition (noch heute für das Bairische typisch) von Germanisten trotzig reklamiert wird. Die Erklärung bei Bagi/Varen als Baiowarioz (= aus Boia und varius "die Männer aus Böhmen") hätte das Problem boi = bai (Boiodurum, Boiohaemum, deserta Boiorum) plausibel zu machen und die Tatsache, dass varius/ varii ein lateinisches Morfem von germanischen Ethnonymen ist. Das deutsche Morfem -er (Röm/er, Münchn/er, Wien/ er, Tischl/er Staubsaug/er) auf varius zurückzuführen, ist eine mittelalterliche Beweisführung a la Isidor von Sevilla. Die von Germanisten ("sprachlich unwiderlegbar") vertretenen "Männer aus Böhmen" sind aber nicht nur wegen der fehlenden Frauen (mussten sie zuhause bleiben?), sondern auch aus anderen sprachwissenschaftlichen Gründen eine unbegründete Behauptung: Das Bairische ist voll von romanischen Elementen. In Böhmen aber gab es nie eine Romanität. Woher sollte die auch kommen? Wir können also getrost statt von einer germanistischen von einer romanischen Herkunft des Baiernnamens ausgehen. Die Salzach (seit dem 8. Jahrhundert nur "Salzach") heisst lateinisch (latinisiert) Ivarus, ladinisch Ivaro ( = alteuropäisch und baskisch ivar/ibar "der Fluss") und meint den Fluss bis zur Mündung in die Donau in Passau. Keine der üblichen Falschlesungen in lateinischen Texten, auch nicht in der lex Baivariorum würde fonetisch zu heutigem Baiern/Boarn und bairisch/boarisch führen.

    Die noch heute für Germanisten nicht erkennbare romanische Grundlage des Bairischen

    "Die romanische Bildung des Baiern-Namens wurde von der Germanistik als unhaltbar, überzeugend widerlegt". Das ist der heutige Standpunkt der österreichischen (und deutschen?) Germanistik. Die argumentative Technik der Germanisten ist: man erklärt romanische Wörter als unbedeutende Lehnwörter im sonst kompaktgermanischen Bairisch. Zur Unterstützung dieser These werden einige Wörter wie Maut und Pfingsta und grammatikalische Elemente wie es für gotisch erklärt. Diese "Kennwörter" haben übrigens auch den NaziGermanisten in nicht allzu ferner Vergangenheit bei der amtlichen "Regermanisierung" des Slowenischen geholfen. Somit ergibt sich für die Germanistik immer noch folgende Gesamtschau der Sprach- und Stammesentwicklung: Urgermanisch (was immer das sei) > Gotisch (Alpengermanen?) > Althochdeutsch > Mittelhochdeutsch = heutiges DUDENDeutsch. Die Bedeutung des Bairischen in diesem Gesamtbild ist daher eher marginal, aber immerhin germanisch. Für das Entstehen des Bairischen in einer romanisch (ladinisch) und germanisch (alemannisch) gemischten Region sprechen die vielen romanischen Wörter, die Grammatik, Syntax, Morfologie, Idiomatik, sowie die Orts-, Berg-, Fluss- und Personennamen. Das Wort "Maut" = lat. mutare "wechseln": altladin. müta, müda, muta, altbair. muta, altslow. myta hat im ganzen ladinischen Alpenraum das Geld bezeichnet, das man für den Pferdewechsel an den römischen Alpenstrassen zu zahlen hatte. Der bairische Pfingsda "Donnerstag" kann nicht auf das Gotische { = griech. pente "fünf) zurückgehen, da man im Alpenraum die Wochentage mit dem Montag beginnt. Der Dienstag ist folglich der 2. Tag (slow torek), der nächste Tag bair. Mittwoch (slow. sreda) und der Donnerstag der 4. Tag. Der Pfingsta (slow petek!) wäre der 5. Tag, also Freitag! Auch andere Gotismen sind eher romanisch als gotisch, wie z. B. es sads, es habds { = lad. vus essas, vus haveis). Wenn zwei Sprachen mit Dual und Plural sich mischen, gewinnt immer der Plural. Warum sollte das Bairische einen Dual aus dem Gotischen übernommen haben?
    Wer Sprachmischung, ein wesentliches Element europäischer Kulturentwicklung, leugnet, bedenke: Es gibt keine ungemischten Sprachen und keine ungemischten Völker! Jeder Ort im bairischsprachigen Gebiet, der keinen bairischen Namen hat, war einmal zweisprachig.
    Man könnte noch heute ein Gespräch von 500 Wörtern (Basic Ladin) mit willkürlich gewählten ladinischen Elementen aus dem Bairischen, ohne germanische Wörter, führen: Beim Haus die Mauer = murus, das Dach = tectum, der Ziegel = tegula, das Fenster = fenestra, der Keller = cellarium, die Küche = coquina. Beim Essen die Bretzen = brachium, der Essig = acetum, das Mehl = molina, das Salz = salsza, das Öl = oleum, der Kas/Käse = caseus, der Zwiebel/Zwiefel = cepula, die Kirsche = cerasus, die Birne = pirum, der Wein = vinum, der Most = mustum. Vieles ist sogar auch nordhochdeutsch geworden. In der Religion der Papst = papa apostolicus, der Bischof = episcopus, der Abt = abbas/abbatem, die Kirche = circua, der Altar = altarium, die Messe = missa, das Kreuz = crux/crucem. Im Strassenverkehr die Strasse = via strata, die Maut = muta, der Pass = tornus. Beim Körper Eawaschl = lad. ureglias, Fozn = vox/vocem. Man kann ratschen = rationare oder schreiben = scribere.

    In der Grammatik der Artikel (auch bei Personennamen: der Sepp = il Pepo , die Maria = la Maria). Der Komparativ als Superlativ: sie is de schenare = lei e la piü bella. Auch noch im Italienischen! Gleiches Präteritum (ich hab gelesen - nordhochdeutsch: ich las). Gleiche Wortfolge (gib mirs - nordhochdeutsch: gib es mir). In der Idiomatik: wia! (bei den Rössern) = via, sei stad! = state, na! = non etc., etc.

    Die Morfeme bei Ortsnamen: Im Gegensatzzur literaturüblichen Meinung gehen die meisten alten Ortsnamen auf -ing wie Irsching (von Ursus = Ursin/Ürsching) auf das lateinisch/ ladinische PossessivAdjektiv -inus/-ina zurück, nicht auf germanisch -ing. Das Morfem ist Jahrhunderte lang produktiv und sagt nichts aus über die Chronologie der Besiedlung. Ebenso das Morfem -ed/öd = etum (wie pinetum, acretum; hauptsächlich als Kollektiv bei Baumnamen, meist endbetont: Eichet, Sattled). Das Morfem -erl in Schnitzerl, Freunderl (bis heute produktiv) = ellus/ella/ellum ist ein Sentimentalsuffix wie frater = fratello (norddeutsch -chen/Brüderchen). Beachtlich ist der Anteil des Ladinischen im sexuellen Wortschatz (nicht nur Busserl = basium/basellum) und in Flüchen (sacra di!).

    Da Ladinisch lang nicht geschrieben wurde und nur aus Namen und dem heutigen Bairisch erschliessbar ist, ist die Beweisführung romanischer Herkunft (mit Lateinisch, heutigem Bairisch und offiziellem Ladinisch) fonetisch und orthografisch mühsam, dennoch leicht durchführbar. Man sollte eben auch die wahrscheinliche romanische Herkunft in Dialektwörterbüchern angeben und nicht nur auf ganz unrealistische "nordgermanische" FantasieWörter oder FantasieBedeutungen ausweichen.

    Es wäre schon ein Fortschritt, wenn nicht jeder Nur-Germanist sich für kompetent halten würde, - in völliger Missachtung der Tatsache, dass es eine romanistische und slawistische Sprachwissenschaft gibt, deren Sprachen auch eine Geschichte haben. Die Deutung von Ethnonymen und Glottonymen sollte man jedenfalls Sprachwissenschaftern und nicht Archäologen und Historikern überlassen!

    * Em. O. Univ.-Prof. Dr. phil. Dr. h. c. Otto Kronsteiner (geb. 7. Dezember 1938 in Losenstein, Oberösterreich) ist ein österreichischer Slawist, Sprachwissenschaftler, Namenforscher und Historiker. Von 1981 bis zur Emeritierung 2007 war er Ordentlicher Professor für Slawistik und slawische Geistesgeschichte an der Universität Salzburg.