- Dunkles Stadtkapitel: KZ-Außenlager Was sich 1944 bis 1945 auf der Willibaldsburg abspielte - Ungeklärte Geschichte und offene Fragen Von Katharina Volk Eichstätt - Das Urteil gegen eine Sekretärin des KZ Stutthof -möglicherweise eines der letzten in der Reihe von Aufklärungen zum NS-Massenmord in Deutschland - hat für Schlagzeilen gesorgt. Der Auftrieb der AfD in den Ost-Wahlen auch. Und miteinander wirft es die Frage auf: Wie gehen wir eigentlich mit unserer Vergangenheit um? Mehr als 30 Jahre nach einer Video-Reportage von Studenten der Katholischen Universität Eichstätt über die nationalsozialistische Vergangenheit der Bischofsstadt sind viele Fragen offen. Allen voran die: Wie geht die Stadt mit ihrer Vergangenheit um? Zum Beispiel mit jenem Kapitel, was sich offenbar auf der Willibaldsburg in den letzten beiden Kriegsjahren abspielte. Vor mehr als zehn Jahren berichteten wir schon einmal schemenhaft über ein mögliches Außenlager eines Konzentrationslagers. Und heute? Redet erneut keiner mehr darüber und je tiefer man in die Recherche einsteigt, desto weniger Fragen sind geklärt. Archivauskünfte beschreiben das „ Rechercheansinnen” unserer Zeitung als „ problematisch” und „ mysteriös” . Das Bundesarchiv in Ludwigsburg berichtet auf Anfrage von „ vagen Hinweisen” zur Existenz eines Arbeitskommandos in Eichstätt sowie „ nebulösen Informationen” . Summa summarum eine „ unklare Existenz”. Weitere Herausforderungen bestehen möglicherweise in einer konsequenten Falschschreibung des Namens "Eichstaedt" der damaligen Zugehörigkeit zu Mittelfranken, einer fragmentarischen Dokumentation, dem Fehlen verlässlicher Zeugen und Einzelerinnerungen, einem eingestellten Ermittlungsverfahren und dem Wechsel der SS-Kasernenleitung 1943 von Dachau nach Flossenbürg. Gesicherte Informationen über das, was auf der Burg passierte, sind rar. Klar ist aber, dass zwischen Oktober 1944 und Januar 1945 wohl tatsächlich ein Außenlager des KZ Flossenbürg auf der Willibaldsburg bestand, wie Archivare der Gedenkstätte schon vor zwölf Jahren bestätigen. Außerdem beherbergte die Burg von Herbst 1942 bis zum Einmarsch der US-amerikanischen Truppen am 25. April 1945 die Schutzstaffel (SS) des Dritten Reichs. Etwa 30 Mann des SS-Nachrichten-Ersatzbataillons arbeiteten dort. Ab dem 20. Juli 1944 wurde die Burg für die Öffentlichkeit gesperrt und es wurden sichtbare Funkmasten auf den Türmen errichtet,- um das Kriegsgeschehen zu steuern. Bereits im Juli 1944 waren jedoch laut einem Forderungsnachweis aus dem Suchdienst Arolsen 22 Häftlinge in Eichstätt gemeldet, was darauf hindeutet, dass das Lager früher im Jahr gegründet wurde. Das Arolsen Archiv gibt für Oktober 1944 zehn männnliche Häftlinge an, die dort Zwangsarbeit für die SS verrichteten; 22 im Januar 1945. Ein „ Forderungsnachweis über den Häftlingseinsatz” aus Flossenbürg verzeichnet für Oktober 1944 jedoch 614 Häftlingsverpflegungen für das „SS-Nachr.Ausb.Nürnberg (Eichstätt)” . Sicher ist auch, dass die Männer aus dem KZ Flossenbürg stammten und größtenteils Schuster, Friseure und Schneider aus den Niederlanden, Polen und der Tschechoslowakei waren. Die gesammelten Dokumente geben aber insgesamt wenig Aufschluss über die Vorgänge im Lager. Der Historische Verein berichtet auf Anfrage, dass mindestens drei Häftlinge im Gefängnis der Stadt untergebracht waren und täglich zur Burg geführt wurden, um die SS-Männer zu versorgen. Flossenbürg bestätigt jedoch die Unterbringung auf der Burg. In einem Zeitzeugengespräch, das dem EICHSTÄTTER KURIER nicht vorliegt, sei zudem weiter berichtet worden, dass die Häftlinge im Vergleich zu anderen Lagern gut versorgt wurden und die Arbeit nicht allzu anstrengend war - Todesfälle seien dagegen nicht dokument ert. Eine Anekdote aus dem Zeitzeugengespräch, die der Vorsitzende des Vereins, Albert Günther, erwähnt, spricht von Akten und privaten Gegenständen, auch von „Frankenführer" Julius Streicher, die im Keller der Burg lagerten. Die etwa 20 Holzkisten sollen demnach bei Annäherung der Alliierten nach Österreich gebracht, mit der Anweisung, die Kisten zu verbrennen, falls der Transport stoppt. Der frühere Eichstätter Oberbürgermeister Ludwig Kärtner betonte in dem bereits erwähnten studentischen Video 1992, dass trotz aller Dinge, die man nach dem Zweiten Weltkrieg über die Vergangenheit erfahren hat, die Tatsache eines Außenlagers in Eichstätt zum ersten Mal mit der Reportage aufgefallen sei. Allerdings: Sieben Jahre zuvor hatten die Grünen bereits eine Nachfrage dazu ans Rathaus gestellt. Die Antwort dazu war vom OB selbst unterzeichnet. Die Studenten wunderten sich über die „Erinnerungslücke" und kamen zu dem Schluss, dass es Konfrontationen mit der eigenen Geschichte gegeben habe, aber sie nicht aufgearbeitet wurde. Es habe demnach „kein Interesse gegeben, „überhaupt nachzuforschen". In Eichstäti „nicht gern über die Vergangenheit heit der Stadt während des "Dritten Reichs"', lässt die Sprecherinn des Videos verlauten . „die, die etwas wissen sagen nicht viel was in der der Willibaldsburg los war. Eine Zeitzeugin, die in der Repportage bereits um 80 Jahre alt sein muss, erzählte, dass sie froh war, wenn man nichts gehört und gewusst hat. Sie habe sich nie eine eigene Meinung über die Maschinerie der Nazis gebildet. „ Diese Einstellung ist vielleicht typisch für viele Eichstätter” , kommentiert die Moderatorin. Es gibt aber auch jene, die sich gegen das Schweigen und Vergessen einsetzen. Lutz Tietmann vom Zentrum Stadtgeschichte Ingolstadt erklärte 1992, dass viele Akten und Dokumente, die Auskunft geben könnten, verschwunden oder absichtlich vernichtet wurden, obwohl die SS „ peinlich sauber jede Kleinigkeit notierte” , heißt es im achtminütigen Videoprojekt. Während des Dritten Reiches diente die Willibaldsburg als Kaserne, Kriegsgefangenenlager, Sitz der Salesianer, Heimatmuseum und Staatsarchiv Nachdem deutsche Soldaten versucht hatten, das Eindringen der Alliierten zu verhindern, indem sie die eigene Stadt beschossen, wurde die SS abgezogen. Wohin die Soldaten gingen, ist nicht bekannt. Obwohl Eichstätt von Zerstörungen und Bombenangriffen weitgehend verschont blieb, herrschte nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands auch dort Lebensmittelmanfel. Nach dem Einmarsch plünderte die hungrige Bevölkerung die von der SS auf der Willibaldsburg zurück gelassene Vorräte. Zudem verschlechterte sich die Lage durch die Schließung vieler Geschäfte und Betriebe im Zuge der Entnazifizierungspolitik der Amerikaner, was zu einer
- erheblichen Minderung der Lebensqualität führte, so Elmar Ettle in seinem Buch „Die Entnazifizierung in Eichstätt". „Mehr weiß man nicht", kommen die Studenten zum Schluss. Sie ziehen das Fazit, dass das „strenge Regiment der SS, die Abgeschiedenheit der Burg, die Angst der Bürger, aber auch die Gleichgültigkeit" Gründe für die Unwissenheit ein könnten. „Die dürftige Quellenlage und fehlende Ausagen von Zeitzeugen machen es im Moment unmöglich Antvorten auf die vielen offenen Fragen zu finden." Auch 30 Jahre später sind keine neuen Erkenntnisse hinzugekommen, und bis heute gibt es keine Gedenkzeichen auf der Burg, wie die Gedenkstätte Flossenbürg anmerkt. Allerlings heißt es auf Nachfrage aus dem Rathaus: „Die Stadt Eichstätt setzt sich intensiv und selbstkritisch mit ihrer Geschichte, auch der Zeit des Nationalsozialismus, auseinander." Ausstellungen, Stadtführungen und Projekte thematisierten dieses dunkle Kapitel der Vergangenheit, „und durch Maßnahmen wie das Setzen von Stolpersteinen oder die Pflege unserer Städtepartnerschaften wird das Gedenken und die Versöhnung aktiv gefördert", teilte die Pressesprecherin Sophie Schmidt mit. EK
- Nie wieder ist jetzt.
Dass die NS-Vergangenheit in Eichstätt fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in der Stadtgeschichte kaum präsent ist, wirkt befremdlich. Besonders für Außenstehende ist es irritierend, wenn die Zeit von 1933 bis 1945 in Chroniken und auf Webseiten nahezu ausgeklammert wird. Selbst bei Stadtführungen werden weder die Stolpersteine noch, die Thingstätte erwähnt. Es stellt sich die drängende Frage, warum weiterhin geschwiegen wird. Warum sagen selbst diejenigen, die etwas wissen, nichts? Wie sollen die jungen Generationen aus der deutschen Geschichte lernen, wenn die nationalsozialistische Vergangenheit nicht vollständig aufgearbeitet ist, und Dokumente entweder vernichtet oder unter Verschluss gehalten werden? Gerade in Zeiten aktueller politischer Unruhen, in denen rechte Parteien mit populistischen Aussagen immer mehr Zulauf erhalten, scheint der oft beschworene Satz „Nie wieder" seine Bedeutung zu verlieren. Was haben wir aus unserer Geschichte gelernt? Katharina Volk•t