Lateinische Sprachrelikte
im bayerischen Dialekt

Ortsnamen

gelistet ab 23.02.19Ö ha brrr
  • Quelle Bronner Bayerisch Land und Volk ... ca. 1910
  • Spuren slavischer Ansiedelungen in Bayern. Seite 556 ff. Die Wenden

    Du hast mir letzthin als auffällig bezeichnet, daß im Fränkischen so viele Orts- und Flußnamen auf den Ausdruck itz endigen. Ob dieses verschmitzte Anhängsel nicht etwas Besonderes zu bedeuten habe? Vielleicht etwas Ausländisches! Der Ausdruck kommt Dir so fremdklingend vor. Dein scharfer Sinn hat Dich recht ahnen lassen. Wenn es Dir gelegen ist, so laß Dir erzählen über

    Wir finden solche Spuren allerwärts in unserem Vaterlande, in besonders reichem Maße im Nordostgrenzgebiete Bayerns, also am Fichtelgebirge, am Böhmer- und Frankenwalde und in deren Vorlanden, (in der nördlichen Oberpfalz, östlich und westlich vom Regnitztale, im Aischgrunde etc.) Orts-, Fluß- und Bergbenennungen weisen hier in unverkennbaren Zügen aus die ehemalige Seßhaftigkeit von Slaven oder Wenden hin.

    Ein Kirchenfürst alter Zeit Bischof Heinrich von Würzburg - berichtet z. B. ums Jahr 1006, daß die Gegend an der Regnitz fast ganz mit Wäldern bedeckt und von slavischen Einwanderern bewohnt sei (d. h. wohl daß diese die Mehrzahl der Bevölkerung dort ausmachten). Die Bevölkerung mit ihrer wendischen Sprache ist längst tot und verschwunden; die Erinnerung an sie blieb aber lebendig erhalten in Hunderten von Namen in dieser Gegend, welche sich bis heute einen gewissen Fremdklang bewahrt haben.

    A. Wenn wir den Spuren slavischer Besiedelung nachgehen wollen, müssen wir uns also zunächst an die Ortsnamen mit wendischem Gepräge halten. Dieses wendische Gepräge ist leicht zu erkennen. Es zeigt sich vor allem in den Vielen Ortsnamen in Nordbayern mit der Endsilbe itz und mit dem Ausdrucke Winden oder Wenden. Freilich ist im einzelnen Falle jedem der Namen mit dem verführerisch Anhängsel gegenüber eine große Vorsicht und sorgfältige Prüfung angezeigt. Denn mancher Name auf itz ist nur slavisiert, d. h. der Ort wurde ursprünglich nicht von den Slaven, sondern von Deutschen gegründet; die ursprünglich deutsche Ansiedelung nahm aber von den eindringenden Slaven slavischen Charakter und wendisch geänderten Namen an. Beweis hierfür ist z. B. Görbitz bei Gräfenberg, das anfangs Gerwardersdorf hieß, zu Anfang des 13. Jahrhunderts bereits als Gerwarz vorkommt und später die Umbildung in Görbitz durchmachte.

    Ortsnamen mit dem Grund- oder Bestimmungsworte Winden (Wenden) sind namentlich im westlichen Mittelstanken sehr häufig. Es gibt dort über 30 Ortsnamen mit dem bezeichneten Ausdrucke. Hier mögen die Slaven von irgend einem Herrn als Eigenleute angesiedelt worden sein.

    So sonderbar und - für den Anfang - unverständlich uns die Wörter mit itz anmuten, es haben doch alle die Bezeichnungen wendischen Ursprungs einen guten, bezeichnenden Sinn!

    .

    Versuchen wir einmal die Erklärung! Wie Odinga = Otting das Heim oder den Ansitz des Otto oder Odo bezeichnet, so bezeichnet Döberlitz den Ort der Nachkommen des Dobrota oder die Stätte bei den Nachkommen des Dobrota; Das Anhängsel itz finden wir zumeist mit Eigennamen verknüpft; es bedeutet das stets die Siedelung der Nachkommen jener Person, welche in dem (vor dem Anhängsel stehenden) Worte genannt ist.

    Die Silbe nitz (vgl. Regnitz, Pegnitz, Olsnitz) bedeutet soviel wie Wasser oder Fluß, dient aber auch zur Bezeichnung der "Lage in einem wasserreichen Niederung". Slavisch ist ferner die Bergbezeichnung Kulm, welche wir im Nab- und Saalegebiet etliche Male vorfinden. Auch in Ortsnamen tritt sie wiederolt auf, z. B. Kulmbach, Neustadt am Kulm, Kulmain, Kulmberg, bei Bayreuth, Kulmitz bei Naila. Kulm bedeutet soviel als Hügel oder Höhe.

    Die Slaven oder Wenden pflegten bei der Wahl eines Platzes für ihre Wohnstätte mit weiser Berechnung vorzugehen. Mit Vorliebe machten sie sich in den Hügelfalten eines welligen Landes seßhaft (in Talunge, die geschützt lagen). In wasserreichen Niederungen wo Obst-, Ackerbau und Fischerei lohnenden Gewinn versprachen. Recht gern benützten die Wenden auch sumpfige, seenreiche und waldige Landschaftsgebiete für ihre Ansiedelungen, letztere vornehmlich deshalb, weil sich ihnen da Gelegenheit bot, die erfolgreich gepflegte Bienenwirtschaft auszuüben. Der Met war ja ein Lieblingsgetränke der Wenden.

    Die Slaven gaben ihren Niederlassungen dann Namen, welche die Lage des Ortes (ob hoch oder nieder etc.), die Bodengestalt (ob eben oder bergig), die Eigenschaften des Bodens (ob mehr oder weniger fruchtbar, ob sumpfig etc.), das Gewässer in der Nähe, die Beschäftigung der Ansiedler, die Pflanzen- und Tierwelt, oder sonstige dem Orte anhaftende Eigentümlichkeiten genauer bezeichneten 1).
    1) Es seien nur etliche Stammwörter erwähnt, welche zur Ortsnamenbildung·öfter gedient haben: wrba = die Weide, dub = die Eiche, lipa = die Linde, gora = der Berg, coza = die Ziege, Kitze, jariza = das Samenkorn, taxnie = der Dornstrauch, pany = die Biene, moc = naß, czerna = schwarz, bela = weiß.

    Hin und wieder ist der wendische Ursprung eines Dorfes auch noch in der ursprünglichen Anlage desselben erkennbar. Die wendischen Dörfer wurden nämlich in Hufeisenform (in Halbringen) gebaut. Inmitten des, sogenannten Rundlings war ein mit Bäumen (Eschen, Eichen oder Linden) bepflanzter Platz. Wie die ausgespreizten Finger der Hand sich um den Handteller gruppieren, so gruppierten sich die Häuser der wendischen Niederlassungen um den Dorsplatz. Was an Feldern, Weiden, Waldungen, sischbaren Gewässern etc. um das - Dorf war - also die ganze Feldmark - gehörte als Gesamtbesitz der Gemeinde. Der einzelne Hausbesitzer hatte nur den Nießbrauch eines - Teiles. Die ganze Gemeinde war gleichsam eine einzige, große Familie.

    Dorfanlagen wendischen Ursprungs in weitem Halbkreise lassen sich noch deutlich in etlichen Fichtelgebirgsorten erkennen (Kleinwendern, Vordorf etc.). Das Wendendorf hatte nur einen großen Eingang, den zum Dorfplatze Die Häuser waren mit ihren Giebeln dem geräumigen, inneren Dorfplatze zugekehrt. Es waren Langbauten aus rohgezimmertem Sparrenwerk, das mit Lehm ausgefüllt und verklebt war. Das Dach war mit Stroh gedeckt und trug keinen Schornstein. Der Rauch mußte sich durch Türen und Ritzen einen Weg suchen. Wohnstube oder Dönse, Herd- oder Feuerplatz, Stallung, Getreide- und Futterdiele lagen unter einem Dache.

    Die wendischen Ansiedler waren fleißige Arbeiter. Sie legten Sümpfe trocken und machten sie nutzbar; sie rodeten große Strecken Waldes durch Niederbrennen, ließen die Asche zur Düngung des Bodens liegen und bauten dann Gerste, Roggen und Hafer, auch Hopfen, Flachs, Hanf und Gemüse an.

    Auf den landwirtschaftlichen Betrieb der Wenden weisen die Ortsnamen des fränkischen Gebietes mit den Ausdrücken sek (los, lus), hummel, kaps und küps. Das sek stammt vom slavischen seca und heißt soviel wie Holzschlag oder Umhau (entspricht also unserem altbayerischen prandt, maiss, stam, roden). Demgemäß sind die Namen Ossek, Presseck (Pressig) etc. zu verstehen. Das in zahlreichen fränkischen Ortsnamen auftretende Wort Hummel, welches so gut deutsch klingt, hat seine Ableitung vom slavischien Ausdrucke Hopfen. Es sei hier an den Hummelgau und die Hummelbauern bei Bayreuth erinnert. Als wendische Anklänge haben sich weiters in Ortsnamen erhalten Küps und Kaps (von kapis = Kopfkohl oder Weißkraut). Sie finden sich in Gegenden Bayerns, wo heutenoch der Gemüsebau eine große Bedeutung hat.

    B. Nun wird manchen Leser die Frage beschäftigen, wann denn zumeist die wendischen oder slavischen Einwanderungen in Bayern stattgefunden haben. Darauf kurz die Antwort: Eine Ansiedelung von Slaven in unserem Bayernlande erfolgte schon im 6. Jahrhundert, eine zweite in reicherem Maße zur Zeit Kaiser Karls des Großen.
    Auch in den Kämpfen, welche Heinrich 1. der Finkler und Heinrich II. der Heilige im Reiche zu führen hatten, wurden Scharen gefangener, unterworfener Elbewenden nach Thüringen und in die Grenzgaue des bayerischen Frankenlandes verpflanzt.
    Bis in die Gegenwart herein konnten bei der Bevölkerung im Norden Nürnbergs (besonders im Knoblauchiland, an der Aisch) in Sprache, Sitten und Gebräuchien manche Belege für die Abstammung von slavischen Ansiedlern gefunden werden. Slavische Kolonisten kamen einst über die Rednitz bis herüber in den Taubergrund. Ja sogar am Ries und im nördlichen Württemberg faßten sie festen Fuß. In Nordbayern lassen sich wohl über 300 Ortsnamen nachweisen, welche slavisches Gepräge zeigen.
    Wie vom Sturme verweht, finden wir aber auch im Altbayernlande südwärts der Donau vereinzelte Ortsnamen slavischser Abstammung. Diese inselartigen Fremdklänge(wie z. B. Geisenfeldwinden bei Geisenfeld in einem kerndeutschen Gebiete) sind die durch Jahrhunderte erhalten gebliebenen Benennungen ursprünglich slavischer Siedelungen in Eindödsitzen. Wir können kurz sagen: Wo slavische Namen in Altbayern auftreten, bezeichnen sie fast durchwegs oasenartige Ansiedelungen krieqsgefangener Slaven.

    Wenn wir bei manchen Orisnamen, welche unzweifelhaft auf slavischen Ursprung verweissen, deutsche Ausdrücke als Anhängsel finden, so darf uns das nicht irre machen. Das jüngere Anhängsel weist nur darauf hin, daß die ursprüngliche wendische Ansiedelung später von Deutschen in Besitz genommen worden ist. Im Frankenland fand nach der Völkerwanderung etliche Jahrhunderte lang fortqesetzt eine Verschmelzung und Umschmelzung von verschiedenen Volksstämmen statt. Gewisse Charaktereigenschaften der Bevölkerung im Frankenlande weisen noch darauf hin.

    In unserem Vaterlande treffen wir selbstverständlich auch Geschlechtsnamen und alte Hausnamen, welche wendischer Abstammung sind, z. B. Hummel, Gmelch, Zoch, Zech (Tschech), Zotz, Suppan, Prager, Zabuesnik, Zaubzer etc. Bei der mittelalterlichen Sitte, daß die Besitzer von Einödhöfen oder Gütern oft den Namen der Güter annahmen oder sich nach ihrem Haupterwerbe benannten, darf uns das nicht verwundern.

    Die Wenden waren Heiden. Ihre Opferstätten hatten sies meist auf nahen Höhen. Die Namen mancher Berge und Plätze (vornehmlich jene mit dem Worte hübe1), erinnern daran. Sie verehrten segenspendende und schadenmächtige Götter. Die Namen mancher Orte erinnern an die Götter der Wenden. Es sind vornehmlich die Ortsnamen mit dem Ausdrucke "gast".

    Hauptsächlich zum Zwecke der Bekehrung der slavischen Bevölkerung wurde (1007) das Bistum Bamberg (von Kaiser Heinrich) errichtet. Versuche zur Christianisierung waren aber schon früher gemacht worden. Schon im 8. Jahrhundert hatte Kaiser Karl der Große sogeannte Slavenkirchen (meist dem hl. Martinus geweiht) gegründet. Für die verstreutliegenden Karlschen Slavenkirchen wurde das Bistum Bamberg der Sammel- und Herzpunkt. Ein Großteil Verdienste an der Christianisierung und Germanisierung der Main-Regnitz-Wenden gebührt zweifellos auch den Bistümern Eichstätt und Würzburg.

    C. Wenn wir nun zum Schlusse die Frage aufwerfen: Waren die slavischen Einwanderungen und Niederlassungen damals von Vorteil für unser Vaterland? so können wir dies kurz bejahen. Die Slaven verstanden und übten Ackerbau, Gärtnerei, Hopfenbau, Salzbereitung.Bergbau und Zeidlerei. (Vgl. Einführung des Hopfenabaues in der Hollertau!) Fast alle bezeichneten Erwerbszweige haben sie uns in erfolgreicher Weise bei uns zur Einführung gebracht oder doch wenigstens betrieben und dafür ein nachhaltiges Interesse geweckt, das auch nach ihrem Aufgehen im Deutschtume anhielt und zur Weiterarbeit anregte. Und das ist viel!